Acht neue Außenstellen für die Kreisvolkshochschule Nauen 1952 - Ein Zeitdokument


Im Juni 1952 wurde eine Neugliederung der Kreisgebiete innerhalb der DDR vorgenommen. In diesem Zusammenhang übernahm mit einem Vertrag vom 1. September 1952 die Nauener Kreisvolkshochschule von ihrer Nachbarin Rathenow-Westhavelland acht Außenstellen.

Wenn man so will, war es eine frühe Vorwegnahme der dann erst 1994 in der neuen Bundesrepublik vollzogenen Kreisreform und Zusammenfügung der Regionen des West- und des Osthavellandes zu einer gemeinsamen VHS Havelland.

Ein ganz spezielles Zeitdokument ist bereits die Verabredung zur Übergabe-Besprechung von 1952. Der Rathenower VHS-Leiter Otto Früngel teilt darin seinem Nauener Kollegen Öffnet internen Link im aktuellen FensterAugust Kochanek brieflich ohne lange Abstimmung mit, dass er ihn besuchen werde, wenn er bis einen Tag vor dem von ihm festgelegten Termin keine Absage erhalten habe. „Ich fahre um 8 Uhr von Rathenow fort, bis Gr. Behnitz, und komme dann mit dem Fahrrad nach dort.“

Ein dem Übernahmevertrag angehängter Bericht schildert recht schonungslos die Situation der VHS in den ländlichen Außenstellen, die an die Maschinenausleihstationen (MAS) oder Verwaltungen der volkseigenen Güter (VEG) angegliedert worden waren. Dabei handelt es sich bis auf Friesack um recht kleine Gemeinden auf halber Strecke zwischen Nauen und Rathenow: Berge, Bergerdamm, Paulinenaue, Pessin, Retzow, Selbelang und Wachow.

„Für uns war es schwer, in den uns unbekannten Gemeinden Aussenstellenleiter zu finden. Zum größten Teil mussten wir unsere Mitarbeiter aus den Reihen der Kulturleiter der MAS und VEG, bzw. die Schulleiter aus den Gemeinden nehmen.

In Verkennung ihrer Aufgaben als Kulturleiter, oder durch zu starke Inanspruchnahme in ihrem Beruf, wurden in den meisten Fällen die Arbeiten der VH kaum beachtet, sodass wir, trotz größten Aufwand an Werbematerial, nur wenig Erfolg in den Aussenstellen zu verzeichnen hatten, trotz Anleitung und Kontrolle des Leiters der KVH. Die Unterlagen der VH wurden in den meisten Fällen nur zum Teil und auch sehr schlecht bearbeitet zurückgereicht.

Ein Teil der Schuld trifft auch die Dozenten, die mit wenig Begeisterung an ihre Aufgaben herangingen. Infolge der verkehrstechnischen Schwierigkeiten des Kreises und eines schlechten Fahrzeuges, war es uns nicht möglich laufende Kontrollen der Aussenstellen und Aussenstellenleiter durchzuführen. Mit Ausnahme von Friesack war eine Arbeit, in allen Aussenstellen des Kreises, in den Sommermonaten nicht möglich. (…)

Durch ständigen Wechsel der Kulturleiter mussten wir für das Wintersemester 1951/52 neue Aussenstellenleiter beschaffen. Wir hatten zum größten Teil Pech damit. Sie gingen mit wenig Interesse an die Arbeit, was sich auch in unserer Arbeit widerspiegelte. In Berge, Paulinenaue und Selbelang kamen überhaupt keine Lehrgänge mehr zustande. Trotz grösster Bemühungen war es uns auch nicht möglich in der Hanfröste VEB Bergerdamm Lehrgänge zu starten. Wir kamen dort über Vorbesprechungen nicht hinaus.“

Mit wenigen Einzelvorträgen versuchte man bei guter Teilnehmerresonanz immerhin die „Verbindung mit der ländlichen Bevölkerung“ zu halten. Die Themen: „Was ist Krebs?“, „Huf- und Klauenpflege bei unseren Haustieren“ und „Die Nutzgeflügelaufzucht und ihre wirtschaftliche Bedeutung im Fünfjahresplan.“

Der ehrgeizige Versuch, die Landarbeiter und Bauern vermittels eines weit gestreuten Netzes von Außenstellen vor Ort beruflich-fachlich besser zu schulen, so wie es der Bildungspolitik der frühen DDR-Jahre entsprach, darf im Angesicht dieser Schilderungen als weitgehend gescheitert angesehen werden. Noch entlarvender sind die vom Rathenower VHS-Leiter Früngel formulierten „Analysen“ der jeweiligen Außenstellen-Situation. So heißt es z.B. über die Außenstelle in der MAS Retzow:

„Ständiger Wechsel der Leiter der Station erschwerte das Arbeiten sehr. Besondere Schwierigkeiten erwuchsen uns jeweils bei der Abrechnung der Lehrgänge, da wir die Bezahlung aus dem Kulturfond der Station abgesprochen hatten. Selbst die Unterlagen, die für unsere Arbeit notwendig waren, konnten wir nicht zurückerhalten.

Dass die Aussenstelle ohne Fahrzeug von uns überhaupt nicht zu erreichen war und durch dauernde Reparaturen auch ausfiel, war auch ein großes Hindernis, diese Aussenstelle besser zu betreuen. Auf Schreiben und telefonische Rückfragen erhielten wir nur mangelhafte Auskünfte oder überhaupt keinen Bescheid.“

Die Transportproblematik und die stark am persönlichen Engagement der jeweiligen, manchmal nicht ganz freiwillig bestellten Außenstellenleiter hängende Resonanz der Angebote werden als die häufigsten Stolpersteine genannt. Wenn sich, wie in Pessin, dann der die VHS unterstützende Ortsbürgermeister gar noch in den Westen absetzte oder der ihm nachfolgende Kulturleiter des Gutes „bei der Belegschaft auf harten Widerstand“ stieß, kam die Bildungsarbeit auf dem Lande vollständig zum Erliegen.

Über die Situation in Selbelang wird besonders niederschmetternd berichtet:

„Zu wiederholten Malen kam es vor, dass wir den weiten Weg mit dem Fahrzeug, mit Dozenten, vergeblich machten, da die vom Kulturleiter gemeldeten Hörer nicht erschienen waren. Lediglich Lehrgänge, die vom Kulturleiter selbst durchgeführt wurden, zu denen die Belegschaftsmitglieder sich verpflichtet fühlten, waren einigermassen besucht. Der jetzige Kulturleiter P. liess sich bei unseren persönlichen Besuchen oftmals verleugnen. Auf schriftliche oder telefonische Rückfragen erhielten wir niemals positive Bescheide.“

Es ist nicht überliefert, wie sich die Situation in den ländlichen Außenstellen nach der Übergabe an die Kreisvolkshochschule Nauen entwickelte. Die Freude darüber, diese „schwer zu bearbeitenden“ Filialen übernehmen zu sollen, dürfte sich in Grenzen gehalten haben, denn auch zwischen Nauen und Hennigsdorf besaß man allein schon 11 Außenstellen. Parallel dazu war in der DDR zudem der massive Aufbau von über 90 Betriebsvolkshochschulen vorangetrieben worden; auf dem Gebiet des damaligen Kreises Nauen entstanden sie u.a. im Stahlwerk und im LEW Hennigsdorf.

Der sozialistische Staat übertrug der Volkshochschule in jenen Jahren eine aktive Rolle bei der Erfüllung der Wirtschaftspläne. Die Qualifizierung der Werktätigen und Landarbeiter, das Nachholen von Schulabschlüssen, ja selbst der flächendeckende Aufbau von Elternkursen in allen Regionen der jungen Republik sollten letztlich neben der ideologischen Neuausrichtung vor allem die fachlichen Grundlagen für eine Steigerung der Arbeitsproduktivität sicherstellen.

Allerdings muss man mit der hier geschilderten regionalen Episode zur Kenntnis nehmen, dass die Mühen der Ebene oft ins Leere liefen, da das Interesse breiterer Bevölkerungsschichten an einer Erweiterung ihrer Bildung auf dem „platten Lande“ nicht übermäßig ausgeprägt war und viele persönliche Befindlichkeiten eine Rolle spielten, die der Staat am Ende nicht durch Verordnungen regeln konnte.

So kann man am Ende vielleicht dem Bildungswissenschaftler Josef Olbrich folgen, der die staatlich-ideologischen Bemühungen der DDR um die Volkshochschule in seiner „Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland“ wie folgt bewertet:

„Lehrende und Teilnehmer sind selbstständige Individuen, die sich „ihre eigenen Gedanken“ machen und die bürokratische Verordnungen intelligent „unterlaufen“. Typisch für diesen Eigensinn war ein ironischer Umgang mit den Parolen des ZK der SED, den obligatorischen Ulbricht-Zitaten oder auch den marxistisch-leninistischen Schulungseinheiten. Gegen Ironie sind auch autoritäre Systeme relativ machtlos.

So hat sich das politische System der DDR selber getäuscht, die Parteiführung hat sich etwas „vorgemacht“, sie hat ihren ideologischen Erziehungseinfluss überschätzt (…). Vereinfacht gesagt: Niemand, der nicht schon überzeugter Anhänger und Nutznießer des SED-Systems war, ist durch die doktrinären Erziehungsversuche marxistisch-leninistisch „belehrt“ und beeinflusst worden.

Auch das ist eine Lernlektion, die wir aus der Evaluation des Erwachsenbildungssystems der DDR ziehen können. Manchmal ist es tröstlich zu wissen, dass Erwachsenenbildung weniger bewirkt, als es sich die Akteure wünschen. Es gibt eine intelligente Lernresistenz Erwachsener.“

Dr. Frank Dittmer